GAIA 2022
Musikfestival
am Thunersee, in Thun und Bern

Familie
Die Wiege musikalischen Genies

 


Mittwoch, 4. bis
Sonntag, 8. Mai 2022


Schloss Oberhofen
Stadtkirche Thun
Kirche Hilterfingen
Kirche Scherzligen
Musikschule Konservatorium Bern
Yehudi Menuhin Forum, Bern

 


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> GAIA 2022 – Programmheft


Familie

Gwendolyn Masin, Gründerin und künstlerische Leiterin


faˈmiːli̯ə

Plural: Familien
Familie: Gruppe von Personen, die miteinander durch Heirat, Blutsverwandtschaft oder Adoption verbunden sind, einen gemeinsamen Haushalt bilden und in ihrer jeweiligen sozialen Stellung miteinander interagieren, meist als Ehegatten, Eltern, Kinder und Geschwister.

Welche Gefühle der Begriff «Familie» auch immer in uns auslöst und welche Erfahrungen wir damit verknüpfen mögen – wir alle haben im Hinblick auf die Wurzel unserer Existenz eines gemeinsam: Unsere (biologische) Mutter hat uns zur Welt gebracht. Ein Festival, das den Namen einer griechischen, zuweilen als Gebärerin bezeichneten Urgöttin trägt, erschien mir geradezu prädestiniert dafür, herausragenden Komponistinnen der klassischen Musik und ihren männlichen Gegenübern eine Bühne zu geben. Und so machte ich mich auf die Suche.

Die Idee zum Thema für das diesjährige Festival kam mir erstmals 2017, als ich mich mit den Boulanger-Schwestern, ihrer Musik und der Unterstützung der älteren Schwester für die jüngere befasste. Ich nahm Komponistenfamilien unter die Lupe – die Bachs und Bendas, Nina Makarowa und ihren Ehemann Aram Chatschaturjan, Alexander Skrjabin und seinen Sohn Julian, die Geschwister Bacewicz und Gnessin, die Tscherepnins, Vačkářs und von Herzogenbergs sowie den Solothurner Richard Flury und seinen Sohn Urs Joseph. Ihre Geschichten strotzen nur so vor Verheissung, Genialität, harter Arbeit und dem Wunsch nach Anerkennung, Erfolg und Misserfolg, Patriotismus und Unabhängigkeit. Und im Mittelpunkt von alledem: die Liebe.

Dass es bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts nur wenige Komponistinnen gab, ist den damaligen gesellschaftlichen Vorurteilen und patriarchalischen Strukturen geschuldet. Ihnen trotzten unter anderem Felix Mendelssohns Schwester Fanny, Clara Wieck, die Ehefrau von Schumann und Muse von Brahms, Smetanas Ehefrau Kateřina Kolářová und Irene Regine Wieniawska, die ihre Werke unter einem männlichen Pseudonym veröffentlichte, um sich von der schweren Last ihres berühmten Vaters zu befreien. Die Frauen im diesjährigen reichhaltigen Musikprogramm von GAIA sind allesamt selbst Komponistinnen und Musikerinnen und nicht nur Musen komponierender Männer.

Unterstrichen wird das Thema Familie des Festivals 2022 aber auch durch die eingeladenen Musiker. Brüder und Schwestern, Väter und Töchter, Ehepaare, Verlobte, Mentoren und Protégés und Dekaden überdauernde musikalische Wahlfamilien finden sich auf der Bühne wieder.

Ich selbst bin Musikerin der vierten Generation, mit Wurzeln in Ungarn, der Tschechischen Republik und den Niederlanden. Meine prägenden Jahre verbrachte ich in Irland, und nun lebe ich bereits fast die Hälfte meines Lebens in der Schweiz. Zu meinem grossen Glück stand meine Familie immer hinter mir. So hatte ich zwar nicht unter Sexismus zu leiden, kenne aber sehr wohl die fortwährende Suche nach der eigenen Identität – innerhalb der eigenen Familie ebenso wie darüber hinaus. Aus dem Wissen, dass man verschiedene Ethnien in sich vereint, kann man tiefe Kraft schöpfen. Aber da ist auch das allgegenwärtige Gefühl, keine physischen Wurzeln zu haben, in der Luft zu schweben, von all dem ausgeschlossen zu sein, was «Tradition» für diejenigen, die sie in ein und demselben Land pflegen, alles bedeuten kann.

Ich war immer in meiner Familie fest verwurzelt. Familie und Musik: Mögen beide Ihre Tage erhellen, wenn wir Sie zum diesjährigen Festival begrüssen!

Herzlichst,

Gwendolyn Masin,
Gründerin und künstlerische Leiterin